Es ist vor allem ein Trauerspiel der Liebe, das der junge Goethe in seiner frühesten, zwischen Vers- und Prosaform changierenden «Faust»-Fassung entwirft. Die Rolle, die Mephistopheles hier spielt, unterscheidet sich erheblich von jener, die ihm in der Ausarbeitung von 1808 zukommen wird: Pakt und Wette zwischen dem Teufel und dem an der Theorie ergrauten Gelehrten finden nicht statt. Mephisto leistet bloss Vorschub zum Unglück, auch Hexenküche und Walpurgisnacht sind noch nicht Teil des «Urfaust»-Spiels. Aber viele Vorformen und teilweise überraschend exakte Entsprechungen der späteren Tragödie, vom Gelage in Auerbachs Keller bis zur finalen Gefühlsraserei der Kerkerszene, sind in diesem frühen Text zu finden – insbesondere Fausts unselige Beziehung zu Margarethe wird bereits in allen Details ausgeleuchtet. Verführt von Faust, endet sie als Sünderin und Mörderin wider Willen im Wahn. Die Gretchenfrage nach der Religion, die sie ihrem Heinrich gestellt hat, beantwortet sie am Ende kompromisslos: Sie verweigert sich ihm, der sie aus dem Gefängnis retten will, um sich dem Gericht Gottes, somit dem Tod, den sie verdient zu haben glaubt, anzuvertrauen.
Nora Schlocker, Hausregisseurin am Theater Basel, wird sich nach ihren Inszenierungen «Kinder der Sonne», «Edward II. Die Liebe bin ich» und «Farinet oder das falsche Geld» diesem unsterblichen Mythos der Dramenliteratur stellen.